Die Neugier ist wieder geweckt
Bienvenidos a Bolivia! Da wo Tanken zum Verhandlungsakt wird, Hunde an jeder Strecke warten, Dynamit für jedermann käuflich ist, da erwacht unsere Reiselust nochmals richtig zum Leben. Wir hoffen, das Land mag auch euch über diese Zeilen begeistern.
Nach fast 8 Monaten, in denen wir zwischen Chile und Argentinien gependelt sind, steht uns ein neues Land bevor. Das erste Mal seit langem kommt eine leichte Nervosität auf vor dem Grenzübertritt. Es geht nach Bolivien. Die Gerüchteküche brodelt bezüglich Grenzübertritt, Wildcampen und allgemein Reisen in Bolivien, doch zuverlässige Informationen sind rar, also machen wir uns lieber selbst ein Bild. Das zufällige Treffen eines Schweizer Ehepaars mit ihrem Camper kurz vor der Grenze mag den Puls nicht senken, reden sie doch von irgendeinem Dokument und Gebühren, welches sie bereits ausgefüllt haben für den Grenzübertritt. Wir haben keinen blassen Schimmer wovon sie reden... Nun gut, die Erfahrung hat uns gelernt, ein Versuch ist es immer wert, im schlimmsten Fall gibt es eine Nacht mehr im Land der Steak-Spezialisten.
Aber alle Sorge umsonst, der Grenzübertritt verläuft unproblematisch, relativ effizient und die vorhin erwähnten Gebühren werden wir nie bezahlen, wir sind uns auch nicht sicher ob es diese wirklich gibt. Und zack, kaum sind wir auf der anderen Seite, tauchen wir in eine neue Welt ein. Obwohl die Grenze mitten durch eine Stadt verläuft, ändert sich das Strassenbild schlagartig. Und uns packts sofort. Das Gewusel, die Menschen, das Leben, wir können es kaum erwarten, das Land zu entdecken. Die Grenzstadt lassen wir hinter uns und suchen für die erste Nacht einen Camping Platz auf etwas abseits der Hauptachse. Wir wollen ein Gefühl für Land und Leute entwickeln und gönnen uns dies zur Eingewöhnung, bevor wir dann wildcampen. Eine schwindelerregende Strasse windet sich durch eine eindrückliche Landschaft und Nervenkitzel ist garantiert beim kreuzen der nicht wenigen Laster unterwegs. Die für den Fahrer anstrengende und Beifahrer beeindruckende Fahrt endet an einem idyllischen Campingplatz im grünen Talboden. Ein perfekter Ort für die erste Nacht, auch wenn wir, im nachhinein betrachtet, deutlich überbezahlt haben. Aber neues Land, neue Sitten, neue Preise, da kann dies zu Beginn schon passieren und wiederum gönnen wir es der herzlichen Familie vor Ort.
Am nächsten Tag schraubt sich Javier wieder die Serpentinen hoch und wir rollen weiter Richtung Potosí. Die Landschaft gleicht häufig noch der im Norden Argentiniens, viele farbige eindrückliche Gesteinsformationen, ein ständiges hoch und runter, dazwischen immer wieder einmal ein Dorf. Uns sticht bereits am ersten Tag die Arbeitsmoral der Bolivianer ins Auge. Währenddem wir beim südlichen Nachbar häufig Baustellen sahen, wo ohne Übertreibung die Hälfte der Arbeiter Pause machten (gefühlt den ganzen Tag), sehen wir hier viele Baustellen wo alle fleissig mit anpacken, häufig mit sehr einfachen Arbeitsgeräten. Dieser Eindruck verfestigt sich während der ganzen Reise durchs Land, die Bolivianer scheinen ein fleissiges Volk zu sein. Und was wäre das Reisen ohne Begegnungen. In diesem Fall kreuzen wir unsere deutschen Freunde, welche wir mehrmals im Süden Chiles getroffen haben per Zufall auf der Strecke. So kommts zu einem Kaffeeplausch am Strassenrand, wo die neusten Reisebegebenheiten und Tipps ausgetauscht werden, eine kurzes fröhliches Wiedersehen, sind wir nämlich in entgegengesetzter Richtung unterwegs. Kurz vor dem Eindunkeln erreichen wir Potosí. Eine Stadt, die keinen guten ersten Eindruck hinterlässt. Grau, schmutzig, industriell und rau kommt die Gegend daher, dabei hat sie eine äusserst prunkvolle Vergangenheit. In der Stadt, welche teilweise auf über 4000müM in der kargen Hochebene, dem Altiplano liegt, herrschen raue Bedingungen. Die Tage warm, die Nächte kalt, wenig Wasser. Blühtezeit war im 17. Jahrhundert, als die Spanier den Silberabbau im grossen Stil förderten und der Rohstoff in die ganze Welt verschifft wurde. Genaue Zahlen, wie viel Menschenleben diese Epoche kostete, sind bis heute nicht bekannt. Diese "glohrreichen" Zeiten sind vorüber und übrig geblieben ist eine schöne, gut erhaltene Altstadt im kolonialistischen Stil, simple eintönige Behausunge ums Zentrum herum und ein Berg, der Cerro Rico, welcher durch den Abbau stetig schrumpft. Unter haarsträubenden Arbeitsbedingungen werden auch heute noch in den Minen Mineralien abgebaut, hauptsächlich Zinn, Silber und Kupfer. Doch der Preis ist hoch. Die Lebenserwartung eines Mineros liegt bei 35-4o Jahren und ihr Erfolg ist in erster Linie abhängig vom Glück, wie sie uns erzählen. Einige wurden schon reich davon, viele aber schuften hart und sehen wenig Ertrag. Wir sind hin und her gerissen, ob wir eine Tour durch die Mine vertreten können, entscheiden uns dann für eine mit dem Teilzeit-Minenarbeiter Wilson. Die Tour ist eindrücklich, macht nachdenklich und wir haben grössten Respekt vor der anstrengenden Arbeit unter schwersten Bedingungen. Wir lernen aber auch von den Minenarbeitern, nicht in Mitleid zu versinken, dies wollen die Herren nämlich nicht. Lieber machen sie Witze mit ihrem (Galgen)humor, so lässt sich wohl die Situation besser ertragen und ausserdem sind sie stolz, dass sie diese fordernde Arbeit bewältigen können. Unterstützend wirken zudem die Coca Blätter, mit welchen die Arbeiter ihre Backentaschen füllen. Sie senken das Hungergefühl und stärken die Ausdauer. Aber auch der starke Alkohol (98%) ist beliebt. Diesen kann man auf dem "Mercado de los Mineros" erwerben, wo auch legal Dynamit verkauft wird. Anscheinend der einzige öffentliche Markt weltweit, wo dies erlaubt ist. Von diesem Angebot haben wir dann aber kein Gebrauch gemacht. Der Besuch bleibt in Erinnerung und nach einer weiteren kalten Nacht oberhalb der Stadt (die Temperaturen sinken unter den Gefrierpunkt), verlassen wir Potosí und kurven in Richtung Sucre, die konstitutionelle Hauptstadt des Landes. Der Weg dahin windet sich weiterhin durch bergige Regionen, denn auch wenn die Stadt tiefer liegt, sprechen wir immer noch von 2800müM.
Sucre ist ein krasser Kontrast zu Potosí, wird die Stadt doch häufig als die schönste des Landes bezeichnet. Für Sara kein unbekanntes Pflaster, sie war vor ein paar Jahren hier im Sprachaufenthalt und erkennt einige Ecken wieder. Die Tage dort entwickeln wir unserer Routine. Mittagessen auf dem lokalen Markt, wo man für Fr. 1.50 satt wird, danach runter zur Saft Abteilung, wo es frische Fruchtsäfte zu unschlagbaren Preisen gibt, gefolgt von flanieren in der hübschen weissen Stadt, einem guten Kaffee im Stammlokal und Abends gönnen wir uns internationales essen wie Pizza oder ähnliches, denn auch dieses Angebot ist gross und lecker. Wir treffen alte Bekannte, denen wir auf der Reise begegnet sind oder die wir aus der Schweiz kennen und geniessen die Gemeinschaft. Die Tage vergehen im Fluge und wir sind bald wieder auf den verkehrsarmen Strassen unterwegs. Den Abstecher in den Osten lassen wir aufgrund der Regenzeit weg, den in den tieferen Lagen des Landes scheint es ausgiebig zu regnen, darauf haben wir wenig Lust.
Die nächste Stadt ruft, Cochabamba. Wir verbringen eine Nacht an einem kleinen See in den Hügeln. In der Zwischenzeit sind unsere Bedenken bezüglich Wildcampen in Bolivien längst verflogen, unsere Erfahrungen sind unproblematisch. Leider entkommen wir dem Regen nicht komplett und so sehen wir wenig von Cochabamba. An dieser Stelle ein Hoch auf Einkaufszentren, sie haben uns schon häufig vor Regen (oder Hitze) bewahrt. Highlight in Cochabamba ist der kleine Camping, wo wir übernachten dürfen. Ein Designerhaus inklusive Aussendusche, fast wie im Luxushotel. Auch diese Stadt liegt immer noch auf schlappen 2500müM. Tiefer werden wir auch nicht mehr sein in diesem Land, im Gegenteil, am nächsten Tag bringen wir wieder Höhenmeter hinter uns, und nicht wenige. Das braucht natürlich nicht wenig Benzin und an dieses zu gelangen ist nicht ganz ohne.
In Bolivien wird der Treibstoff stark subventioniert vom Staat und es gibt zwei Preiskategorien, für Einheimische und Ausländer. Dabei ist der Preis für Ausländer fast 3-fach höher. Will man als Ausländer tanken, muss man sich mit Ausweis und Autonummer registrieren, so die Theorie. Die praktische Anwendung erfordert etwas Verhandlungsgeschick und Glück. Manchmal wird man direkt abgewiesen mit der Begründung, dass man Ausländer nicht bedient, wahrscheinlich weil ihnen der administrative Aufwand zu gross ist. Manchmal wollten sie irgend ein Dokument, wir wissen bis heute nicht was, also weiterfahren. Die beste Lösung, kleinere Tankstellen ohne Videoüberwachung, eine Tankfüllung ohne Quittung verlangen und den Preis verhandeln. So kann der Tankwart den Überschuss in die eigene Tasche stecken und wir kriegen einen tieferen Preis, win win für beide. Besser also nicht mit dem letzten Tropfen Benzin zur Tankstelle fahren, den man weiss nie obs klappt. Zusätzlich muss man damit rechnen, dass vielleicht gar kein Kraftstoff mehr vorhanden ist oder gerade der Strom fehlt, alles möglich.
Zurück auf der Strasse erreichen wir die Hochebene, wo sich auch La Paz befindet. Unterwegs wundern wir uns über die vielen Strassenhunde. Nicht grundsätzlich deren Existenz, aber wo sie sich befinden. Fern ab von jeglicher Zivilisation und immer der Hauptstrasse entlang. Den Grund erfahren wir später. Anscheinend gilt es als "gute Tat", wenn man Hunde füttert und deshalb werfen viele Autofahrer Essensreste aus dem Fenster, ganz zur Freude der Streuner. In dieser besagten Ebene, dem Altiplano, wird die Landschaft eintönig und langweilig, es ist kaum Vegetation vorhanden. Ein Schreckmoment erleben wir, als uns grosse Pneufetzen eines Lastwagens entgegenfliegen, nachdem diesem ein Reifen zerplatzt. Zum Glück prallen sie an die Stossstange und nicht die Scheibe, aber es knallt ziemlich heftig und die Abdeckung ist nun etwas wackliger. Gegen Abend erreichen wir ein Dorf, wo wir mitten auf dem Dorfplatz nächtigen. Kein Problem für die Einheimischen, wir werden freundlich begrüsst, man hält ein Schwätzchen, gönnt uns die Ruhe. Das Dorf ist von Aymaras bewohnt, eine indigenes Volk welches im Altiplano zuhause ist und ca. 25% der Bevölkerung ausmacht. In Bolivien gehören 50% der Bevölkerung indigenen Gruppen an, den zweiten grossen Anteil machen die Quechua aus.
Bolivien hat uns ab der ersten Minute gepackt und begeistert mit seiner Vielseitigkeit und Lebendigkeit und der nächste Höhepunkt (wortwörtlich) steht uns bevor, La Paz. Aber für heute genug, mehr dazu im nächsten Blog. Hasta luego.