Eine Chronologie der Carretera

Eine Geschichte über die eindrucksvolle Reise auf der legendären "Carretera Austral" mit den bekannten Hauptprotagonisten Beni, Sara und Javier.

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Kapitel I: DIE Traumstrasse Südamerikas?

Ein grosser Ruf eilt dieser bekannten Strecke voraus, welche von Puerto Montt im Norden bis nach Villa O'Higgins im Süden reicht. 1976 startete der Bau der Strasse, welche als Prestigeprojekt der damaligen Pinochet Diktatur gedacht war. Viele Jahre dauerte die Konstruktion durch den dünn besiedelten Norden des chilenischen Patagoniens, denn das Gelände ist unwegsam, durchzogen von Flüssen, Seen und Bergen. Bis heute ist die 1350km lange Strecke nicht komplett asphaltiert, obwohl von politischer Seite bereits häufig derartige Versprechungen gemacht wurden. Aber was macht die Strecke so besonders? Genau diese Abgeschiedenheit. Der beschwerliche Bau ermöglicht es uns heute, die relativ wenig berührte Landschaft, die durch viele Nationalparks (ganz Chile beherbergt 36 Nationalparks) geschützt ist, vom Auto aus zu bewundern. Genug der Fakten, wir setzen uns ins Auto und fahren los, bereit, dem Mythos der Traumstrasse zu folgen.

Kapitel II: Und wieder ein Vulkan

Den ersten Stopp legen wir beim Vulkan Chaitén ein, neben dem gleichnamigen Dorf gelegen, welches 2008 bei der letzten Eruption stark beschädigt wurde. Eigentlich sollte das Dorf danach 10km nördlich wieder aufgebaut werden, wo es besser geschützt wäre vor einer erneuten Eruption des immer noch aktiven Riesen, aber die Bewohner wollten es anders und haben das Dorf an gleicher Stelle wieder aufgebaut. Ist zu hoffen, dass es dem Berg nicht so bald wieder den Deckel wegjagt. Ein kurzer aber steiler Aufstieg ermöglicht den Blick in/auf den Krater, wo mehrere Rauchsäulen in den Himmel steigen und Zeugen der Aktivität sind. Ein erstes Mal kriegen wir eine Vorahnung, was uns die nächsten Wochen erwartet. Unser Blick schweift über unberührte Landschaft, wo Flüsse noch ungestört ihren Lauf nehmen und die Zeichen der Zivilisation sich auf die eine Strasse beschränken. Zurück am Fusse des Vulkans fahren wir zu unserm Übernachtungsplatz direkt am Meer, wo sich Delfine und Robben gute Nacht sagen und wir sie dabei beobachten dürfen. Und auch wir sagen unseren neuen Bekannten gute Nacht, ein deutsches Paar, welches mit ähnlichem Setting unterwegs ist und dessen Wege wir noch einige Male kreuzen werden. Übrigens, bis hierhin haben wir noch kaum Kilometer gefahren, denn die Strecke von Puerto Montt nach Chaitén haben wir mehr oder weniger schlafend auf der Fähre verbracht.

Kapitel III: Immer diese Wetterprognosen

Es könnte so schön sein wenn das Wetter nicht wäre. Der Wetterfrosch sagt wenig erfreuliches voraus für die nächsten Tage, wenn nicht sogar Wochen. Soweit die Wettervorhersage reicht, nur Regen. Nicht ganz das, was wir uns vorgestellt haben. Natürlich, die Unstetigkeit des patagonischen Wetters ist uns bekannt, aber eine solch lange Schlechtwetterperiode macht wenig Freude. Immerhin, den ersten Fahrtag verbringen wir noch regenfrei und erhaschen trotz Wolken einige Blicke auf die fantastische Landschaft. Auch unserer Beine dürfen sich betätigen und tragen uns zu mehreren Aussichtspunkten, wo es die leider schrumpfenden Gletscher zu bestaunen gibt. Ein Plan muss her, denn die Strasse bei schlechtem Wetter runter zu düsen ist keine Option für uns, schliesslich ist sie genau für die atemberaubende Landschaft entlang der Strecke bekannt. Da kommt uns ein Abstecher ins Rafting Paradies gerade gelegen. Direkt an der argentinischen Grenze liegt Futaleufú, ein weltbekanntes Rafting Mekka. Wenn schon nass, dann so richtig, dass die Devise. Der durch die Schneeschmelze reichlich gefüllte Fluss bietet den optimalen Spielplatz für einen wilden Flussritt, welcher grossen Spass bereitet, bis wir gegen Ende alle mutwillig (und etwas naiv) in den eisigen Fluss springen und danach alle frierend im Boot sitzen. Nichts desto trotz eine willkommene Abwechslung im strömenden Regen.

Kapitel IV: Wir sind platt.

Besser gesagt, Javier ist platt. Nach einem kurzen Abstecher nach Argentinien, wo das Wetter besser ist sind wir zurück in Chile, als dem Pneu die Luft ziemlich abrupt ausgeht. Der Pneu ist komplett zerfetzt und unbrauchbar, und das natürlich im strömenden Regen auf schlammiger Strasse. Immer im ungünstigsten Moment diese Pannen, wobei wir uns später fragen, ob es überhaupt einen günstigen Moment dafür gibt... Der Radwechsel bringt nicht den gewünschten Erfolg und so tuckern wir im Schneckentempo ins nächste Dorf, wo uns ein "Mechaniker" notdürftig den Felgen wechselt. Anscheinend ist unser Ersatzfelgen gar nicht für unser Auto geeignet, na bravo. Es folgt eine Reihe von Werkstattbesuchen, die Landschaft wird zur Nebensache, das Wetter glücklicherweise noch schlecht, so verpassen wir wenigstens nichts. Einige hundert Kilometer südlicher in Coyhaique kann der Mechaniker die Probleme definitiv beheben. Bis dorthin müssen wir mit drei Bremsen fahren, die vierte wurde abmontiert. Wir als Autobanausen können schlecht einschätzen, wie einschneidend dieses Handycap ist und verlassen uns auf die Meinung des Mechanikers. So fahren wir sehr gemütlich die Strecke runter und können es nicht ganz so geniessen wie sonst. Aber die überwätligende Landschaft schafft es trotz der Umstände, uns in Staunen zu versetzen. Üppiges grün, rauschende Flüsse, hängende Gletscher, blühende Lupinenfelder, schneegepuderte Gipfel, um nur einiges zu nennen.

Kapitel V: Cerro Castillo

Ca. 2h südlich von Coyhaique grüsst der Cerro Castillo, ein mächtiger schneebedeckter Gipfel. Nachdem einem weiteren wetterbedingten Abstecher ins windige Chile Chico, wo wir die erste Nacht im Auto schlafen müssen weil der Wind uns fast das Dachzelt vom Auto weht, kehren wir auf die Hauptachse zurück. Endlich klart der Himmel auf und lässt den Blick auf den Gipfel zu. Wir verbringen drei Tage mit Zelten und Wandern im Gebiet des Cerro Castillo, welche beeindruckender ist als gedacht. Das lange Warten auf den Wetterwechsel hat sich gelohnt. Eine nette Überraschung unterwegs ist eine weitere Begegnung mit unseren deutschen Freunde, welche wir auf der Wanderung per Zufall treffen.

Kapitel VI: Über türkises Wasser gleiten

Einige Kilometer weiter im Süden befindet sich das Dorf Puerto Río Tranquillo an den Ufern des Lago General Carrera (auf argentinischer Seite Lago Buenos Aires). Der 1850 km² grosse See wird hauptsächlich von Gletscherwasser gespiesen und hat seine auffällig türkise Farbe aufgrund der Sedimente. Er ist auch der grösste See Chiles. Die Carretera ist wenig befahren, doch in diesem Dorf finden gefühlt alle Touristen zusammen, die auf der Strecke unterwegs sind. Und das hat einen guten Grund. In Ufernähe befinden sich weltbekannte Granithöhlen (zieren z.B. das Cover von Photoshop), die auch wir gerne besuchen möchten. Mit Kajak und Guide (ohne darf man leider nicht) gleiten wir über das klare türkisfarbene Wasser zu den Höhlen. Die Farben und Formen der Höhle sind tatsächlich beeindruckend und mit dem Kajak haben wir die Möglichkeit, selber um und durch die Gewölbe aus Granit zu paddeln.

Kapitel VII: Staunen ohne Ende

Während wir so gemütlich über die holprige Strasse fahren, welche im südlichen Teil nicht mehr asphaltiert und teilweise in sehr bescheidenem Zustand ist, kommen wir kaum aus dem Staunen raus. Hinter jeder Ecke eröffnet sich ein neues atemberaubendes Panorama, ein stahlblauer See, ein türkisfarbener wilder Fluss, ein hängender Gletscher, eine bunte Blumenwiese, oder eine beeindruckende Felsformation. Unsere Fahrzeiten verlangsamen sich drastisch, denn wir müssen haufenweise Fotostopps einlegen. Aber genau das haben wir ja eigentlich gehofft und bereits an dieser Stelle wissen wir, dass Traumstrasse definitiv ein gebührender Name ist für diese Strecke. Aber nicht nur die Fahrt ist eine Freude, auch zum Campen finden sich hübsche Stellen, stets am Wasser, was das Camperleben viel einfacher macht. Unsere Begeisterung ist riesig und wir können manchmal kaum fassen, was wir alles sehen dürfen.

Kapitel VIII: Abgeschleppt aus dem Wildtierparadies

Wir hoffen ja, irgendwann während unserer Reise einen Puma zu sehen, wobei die Chancen ziemlich gering sind, denn die Tiere sind äusserst scheu. Doch im Parque Patagonia kommen wir voll auf unsere Kosten was Tierbeobachtung angeht. Kurz vor Cochrane biegen wir einmal mehr von der Hauptachse ab, um diesen Park zu besuchen. Schlagartig ändert sich die Landschaft und wir finden uns in einer steppenartigen hügligen Landschaft wieder, wo Guanacos grasen, Kondore fliegen und wir sogar ein Stinktier beobachten können. Nach der ersten Nacht im Park dann die unangenehme Überraschung: Unsere Bremse versagt. Ohne Bremse kein Fahren, vor allem nicht in diesem hügligen Gebiet. Glück im Unglück haben wir einmal mehr, denn wir befinden uns nur wenige Kilometer vom Besucherzentrum entfernt, wo es Wifi hat, so dass wir einen Mechaniker anrufen können. Mobilfunkempfang ist hier nämlich Fehlanzeige. Ja und so lernen wir ein neues Wort für unsere Spanischwortschatz, denn wir brauchen einen Abschleppdienst. Der freundliche Herr taucht zwei Stunden später auf und bringt uns sicher ins nächste Dorf, wo alles repariert werden kann und wir abends bereits wieder fahrfähig sind. Dafür sind wir dankbar, treffen wir doch in der Werkstatt noch zwei Holländer, welche bereits seit 5 Tagen festsitzen und auf Ersatzteile warten... Wir übernachten auf dem Parkplatz des Aussichtspunkts des Dorfes, wo die Polizei noch vorbeischaut. Vor dieser haben wir aber nichts zu befürchten. Sie stellen sich freundlich vor, fragen nach unserem Wohlbefinden und geben uns ihre Nummer, falls es Probleme gibt. Das einzige Anliegen, bitte kein Feuer machen! Die Angst vor Waldbränden ist gross und nicht unberechtigt, immer wieder brennen durch menschliches Zutun grosse Flächen ab. Daran halten wir uns gerne und sind dankbar über die Entspanntheit der Chilenen. Praktisch jeder der vorbei kommt grüsst freundlich oder streckt den Daumen in die Luft. Man lässt einander leben. Wir kehren nochmals in den Park zurück, denn es gibt noch mehr zu entdecken, das wir uns nicht entgehen lassen wollen. Immer wieder sind wir dankbar über den Luxus, so viel Zeit und Flexibilität zu haben, so dass solche Unterfangen möglich sind.

Kapitel IX: Verschlafene Weihnachten

Ein letzter Programpunkt steht noch an, bevor wir uns von der legendären Strasse verabschieden werden. Das kleine Dorf Tortel liegt an einem Flussdelta in einem Fiord und hat seine Bekanntheit aufgrund der kilometerlangen Holzstegen, welche das autofreie Dorf verknüpfen. Auf den Fotos wirkt das Dörfchen sehr idyllisch und so ist es auch, aber auch eher verschlafen. Anscheinend soll in der Hochsaison (Dez/Jan) richtig viel los sein, wir können uns dies kaum vorstellen. So flanieren wir über die Holzstege, betrachten die teils verfallenen, teils charmanten Holzhüttchen am Hang und suchen bei Bedarf Schutz in einem Restaurant, wenn wieder einmal ein Regenschauer kommt. Sobald dieser vorbei ist, wollen wir das Restaurant auch gleich wieder verlasssen, der laut dröhnende Fernseher verdirbt die Atmosphäre. Abends haben wir uns mit unseren deutschen Freunden verabredet, wir wollen ein verfrühtes Weihnachtsessen geniessen. Da das Wetter kühl und nass ist, verlagern wir dies in ein Restaurant. Zuerst wird uns auf Nachfrage gesagt, dass es geöffnet ist, aber als wir drin sitzen werden wir aufgeklärt, dass es eigentlich geschlossen sei. Nun gut, aufgrund mangelnder Alternativen sind wir dankbar, dass sie dann doch noch von irgendwo ein Essen herzaubern können und wir verbringen einen gemütlichen Abend zusammen im geschlossenen Restaurant, wo sich bei jedem Windstoss die Bodenabdeckung wölbt. Die chilenische Bauweise lässt grüssen.

Kapitel X: Feliz Navidad auf hoher See

Caleta Yungay ist der letzte Ort, welche über den Landweg erreichbar ist und zur Carretera gehört. Für uns bedeutet dies Endpunkt der Carretera Austral. Die Strecke würde nach einer Fährfahrt noch weiter bis Villa O'Higgins gehen, aber dann müsste man umdrehen, denn dort ist das Ende der Strasse. Diese Kilometer (und vor allem dieses Benzin) wollen wir uns sparen, denn in Puerto Yungay legt unsere Fähre ab, welche uns in den Süden bringt. Ca. 48h werden wir auf diesem Schiff verbringen, drei Mahlzeiten am Tag sind inklusive, Kabinen gibt es nicht sondern einfach Sitzreihen wie im Flugzeug oder im Bus. So fahren wir am 24. Dezember gegen Abend auf diese Fähre und sind gespannt, wie diese Weihnachten wohl werden wird. Unser Weihnachtsmenu besteht aus einfachem Kantinenessen auf gefängnisähnlichen Tableaus serviert in einem schmalen Essraum aber mit äusserts freundlichem und motiviertem Personal. Über die Tage lernen wir diverse Leute kennen, denn die Aufenthaltsfläche ist spärlich und wir verbringen doch zwei Tage auf dem Schiff. Abwechslung bietet die schöne Aussicht zwischen den Fijorden, ein Schiffswrack irgendwo im Meer, ein Stopp bei einem Dorf wo es eigentlich keines mehr geben sollte und Netflix Serien. Tatsächlich schaut auf dem Schiff auch noch ein Samichlaus vorbei und sorgt für ein bisschen Stimmung. Sicher eine unvergessliche, einmalige, wenn auch nicht sehr besinnliche Weihnachten.

Kapitel XI: Endlich

Wir freuen uns, als wir Puerto Natales erreichen. Die Stunden ziehen sich immer mehr dahin auf der doch eher engen und ungemütlichen Fähre. Plötzlich sind wir mitten im Touristenzentrum Südpatagonienes und weg von der ruhigen Idylle der Carretera. Dafür gibt es hier auch wieder leckeren Kaffee, das erste Todo nach unserer Ankunft. Die Traumstrasse behalten wir in bester Erinnerung mit tausend Bildern voller atemberaubender Landschaften im Kopf. Auch wenn die Strecke in der Zwischenzeit kein Geheimnis mehr ist und dadurch an Abenteuerfaktor eingebüsst hat, lohnt sich die teils holprige Fahrt immer noch. Selten wird man über so viele Kilometer mit solch schöner Landschaft beschenkt.