Endlich wieder mal eine Grenze

Es ist schon eine Weile her, seit wir das letzte Mal eine Grenze passiert haben, die Türkei ist gross und es gab viel zu sehen. Doch nun ist es soweit, der nächste Grenzübertritt steht an, doch bis dorthin gibt es noch einiges zu erzählen.

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Zeitgleich mit unserer Ankunft in der Osttürkei startet auch der islamische Fastenmonat Ramadan. Von Sonnenauf- bis -untergang wird weder gegessen noch getrunken, und dies ca. 1 Monat lange. Deswegen sind die meisten Restaurants tagsüber geschlossen und allgemein verläuft das Leben etwas gemächlicher. Was bedeutet das für uns? Wir sind zu Beginn noch verunsichert, wie wir uns zu verhalten haben. Dürfen wir in der Öffentlichkeit trinken? Sind die Geschäfte offen? Wie können wir uns tagsüber ernähren? Wir sind gespannt und auf einiges gefasst. Zuerst verbringen wir noch einen Tag in Diyarbakır und schauen uns die kleine aber feine Altstadt an. Vieles wurde neu aufgebaut oder restauriert, da bei Bombardierungen im Jahr 2015 schätzungsweise 80% der Altstadt zerstört wurden. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung sind Kurden, wie auch im Rest der Südost Türkei. Es herrscht ein reges Treiben in den Strassen trotz Ramadan und das frühlingshafte Wetter (endlich) zaubert uns gute Laune. In einer Backstube werden wir direkt hineingebeten und dürfen bei der Produktion zuschauen. Der Bäcker ist sichtlich stolz und geniesst die Aufmerksamkeit, wir geniessen das leckere Brot, welches wir sogar noch geschenkt kriegen.

Am nächsten Morgen schwingen wir uns endlich wieder auf die Stahlrösser. Bei bestem Fahrradwetter lassen wir die Stadt hinter uns und radeln auf kleinen Strassen durch endlose hüglige Landwirtschaftszonen. Unterbrochen wird die Landschaft durch kleine, einfache Dörfer, wo wir einerseits interessiert angestarrt und andererseits freundlich begrüsst werden.  Manch einem hängt wohl immer noch der Kienladen runter, so ungläubig sind manche Blicke. Wir achten darauf, ausserhalb der Dörfer zu trinken, immer noch unsicher, wie wir uns verhalten sollen. Doch mehrere Begegnungen an diesem Tag lernen uns, wie mit der Situation gelassener umzugehen.

Irgendwo zwischen endlosen Ackerflächen hält ein Auto und der nette Herr lädt uns zum Çay ein. Wir denken, er macht vielleicht kein Ramadan. Aber nein, falsch gedacht. So sitzen wir auf seinem Grundstück mit seinen Arbeitern am Tisch, kriegen Wasser und Çay serviert, während sie uns zuschauen. Schon ein bisschen unangenehm, aber scheinbar mehr für uns als für sie. So bedanken wir uns und radeln weiter. Einige Zeit später hält wieder ein Auto, der Fahrer streckt uns wortlos irgendwelche Sandwichs entgegen und fährt weiter. Vielen Dank dafür. Im nächst grösseren Ort gönnen wir uns ein Cola zur Erfrischung. Möglichst unauffällig nippen wir daran in einem Park, bis sich zwei junge Männer zu uns setzen. Sie kaufen uns noch mehr Cola und gemeinsam trinken wir dieses völlig entspannt im Park. Sie machen kein Ramadan und wir sollen uns keine Sorgen machen, meinen sie. Wir bedanken uns fürs Cola und das Plaudern und fahren weiter. Hier im Osten werden wir noch viel häufiger angesprochen, zu Getränken eingeladen usw. Es fühlt sich wie eine andere Türkei an, als wären wir bereits im nächsten Land. Gegen Abend erreichen wir einen Fluss, wo wir unser Zelt aufschlagen wollen. Soweit kommt es aber nicht. Zwei junge Männer kommen vorbei und der Abend endet in einem leerstehenden noch nicht komplett fertig gestellten Haus, wo wir übernachten dürfen, nachdem wir uns den ganzen Abend via Google Translate unterhalten und natürlich Çay getrunken haben.

Der nächste Tag verlangt uns einiges ab. Die Sonne und die Beine brennen um die Wette, die steilen Hügel wollen nicht enden und Wasser ist auch wenig auffindbar. Glücklicherweise werden wir von den freundlichen Frauen in den Dörfern immer wieder mit Flüssigkeit versorgt, was wir dankbar annehmen. Eigentlich wäre die Strecke wunderschön und kaum ein Auto kreuzt unseren Weg, doch die Anstrengung lässt die Szenerie etwas in den Hintergrund treten. Abends platzieren wir unser Zelt abseits von Strasse und Dorf, in der Hoffnung, dass wir ungestört bleiben, da wir ziemlich K.O. sind.  Alles läuft rund bis im Dunkeln plötzlich drei Männer auftauchen, einer mit Militäruniform und bewaffnet. Erneut können wir nur über Google Translate kommunizieren. Man habe uns anscheinend mit einer Drohne gesichtet und wollte schauen, was hier vor sich geht. Wir befänden uns in einer Terrorzone, ob wir nicht zum Dorf kommen wollen. Möchten wir nicht, wir fühlen uns sicher und wollen eigentlich nur schlafen. Unsere Pässe werden kontrolliert, es wird wild diskutiert und telefoniert. Schlussendlich schmeissen die Herren noch ein Feuer an und wir warten auf die Polizei, die keuchend den Hügel hochgelaufen kommt. Sie möchten uns dann einfach sagen, dass sie die offizielle Polizei seien und dass wir zum Dorf sollen, falls es Probleme gibt. Dann verabschieden sich alle und beim Weglaufen ruft uns der Polizist noch zu, wir sollen aufpassen, wenn wir die Strasse queren. Vielen Dank dafür, dieser Hinweis ist äusserst hilfreich. Es bleibt zu sagen, dass die Herren alle sehr freundlich und interessiert waren und ihnen war es ein Anliegen, dass ganze offiziell und korrekt abzuwickeln, darum musste die Polizei auch noch kommen. Trotzdem sind wir froh, als Ruhe einkehrt und wir uns in unsere Schlafsäcke kuscheln.

Nach einem ausgewogenen Frühstück (Chips & Cola) radeln wir bis nach Midyat. Diese Stadt überrascht uns mit einer noch hübscheren Altstadt, die zum bummeln einlädt. In der Zwischenzeit haben wir auch gelernt, wo wir trotz Ramadan Mittagessen können. Immer wieder gibt es Restaurants, die mit weissen Tüchern die Fenster bedeckt haben, dort gibt es zu essen. So haben wir auch tagsüber die Möglichkeit, die türkische Küche zu geniessen. Den ruhigen Nachmittag in Midyat nutzen wir, um Sara angepasste Kleidung für den Iran zu kaufen.

Und Ruhe benötigen wir auch am nächsten Tag. Geld wechseln ist angesagt. Was einfach klingt, wird zum Spiessrutenlauf. Von einer Bank zur nächsten, immer wieder hilfsbereite Menschen, horrende Gebühren und Google Translate beschäftigen uns den ganzen Morgen, bis wir die Dollar endlich in den Händen halten, die wir fürs nächste Land benötigen. Eine ausführliche Schilderung würde den Rahmen dieses Blogeintrags sprengen aber soviel sei gesagt, wir waren leicht genervt... Der Gegenwind ist auch nicht hilfreich für die Stimmung, jedoch erhellt das Kloster auf der Strecke unsere Laune. Der wunderschöne Komplex und dessen Bewohner gehören heutzutage zu einer Minderheit und haben schon einiges überstanden. Das Kloster Mor Gabriel gilt als eines der ältesten christlichen Klöster weltweit.

Nach dieser Pause strampeln wir weitere Kilometer ab, der Himmel ist gelb, es fliegt viel Staub in der Luft. Wir fahren durch abgelegene Gegenden, wo Schafe unseren Weg kreuzen, Zeltdörfer versteckt sind und Militärposten uns daran erinnern, dass die Grenze nicht mehr fern ist. Leider konnten wir nie ausfindig machen, ob die Zeltdörfer das Zuhause von Beduinen, syrischen Flüchtlingen oder anderen Gruppierungen ist. Müde vom intensiven Tag fragen wir in einem Dorf ein paar Männer, ob wir irgendwo unser Zelt aufstellen können. Wir dürfen direkt in einem Raum in der Gemeindeverwaltung schlafen. Dieses Gebäude ist die ganze Nacht von einem Wachposten bewacht. Abends kommen seine Kollegen zu Besuch, wir trinken Çay und die Fahrräder werden begutachtet und getestet. Ein friedliches Ende eines langen Tages.

Die nächsten zwei Tage sind schnell erzählt. Eine eher langweilige Landschaft und vor allem immer noch ein gelblich/dunstiger Himmel macht die Fahrt zu einer mühsamen Angelegenheit. Die letzten Kilometer auf türkischem Boden sind geprägt von vielen vorbeidonnernden Lastwagen, langen Geraden und der Vorfreude auf die nächste Grenze. Es ist der erste Grenzübertritt, seit wir wieder auf dem Fahrrad sind.

So verlassen wir die Türkei nach einigen Hochs und Tiefs, sei es Routen- aber auch Stimmungstechnisch. Wir haben neue Distanzen kennen gelernt, lecker gegessen, schöne Strände und wilde Berge entdeckt, touristische und weniger touristische Regionen gesehen, Kälte überstanden, Çay getrunken und natürlich wieder unglaublich viele bereichernde Begegnungen erlebt. Wir bedanken uns für den Einblick in dieses wunderbare Land, es gäbe noch viel mehr zu entdecken, vielleicht ein anderes Mal. Nun sind wir aber parat fürs nächste Land auf unserer Route, den Nordirak.

Die Vorfreude auf ein neues Land ist riesig, waren wir nun doch lange in der Türkei. Und dann erst noch der Irak. Wir reisen in den Nordirak, in die autonome Region Kurdistan. Diese gilt als relativ sicher im Vergleich zum restlichen Irak und wir haben uns im vorneherein ausführlich informiert, wie die Sicherheitslage ist. Soweit so gut, die Grenzformalitäten sind relativ unkompliziert, insbesondere weil uns von allen Seiten Hilfe angeboten wird. Wir können ganz einfach per "Visa on arrival" einreisen und 30 Tage im Land verweilen. Bereits an der Grenze werden wir überall freundlich begrüsst, interessiert beäugt und "Welcome to Kurdistan" Zurufe begleiten uns. Nordirak, wir sind gespannt und freuen uns wahnsinnig, dich und deine Bewohner kennen zu lernen.